Bilder & Berichte
2022: Winterspaziergang zur Begrüßung des Neuen Jahres
Sonntag, 09.01.2022
Die fachliche Leitung des ersten Programmpunktes im neuen Jahr 2022 oblag Frau Barbara Seppi von der Stadtagentur Stadtinfo Dorsten.
Es war ihr Thema, dass diesem unterhaltsamen Spaziergang zu Grunde lag: Das Auffinden von Spuren unserer ehemaligen jüdischen Mitbewohner - von der Stadtmitte in der Hühnerstraße bis hinein in den Naturpark Hasselbecke zum dortigen Alten jüdischen Friedhof und abschließend noch der Besuch des unweit davon liegenden Galgenhofes. Letzterer hat ja ebenfalls eine lange Geschichte.
Ablauf der Tour
Nun, die Wettervorhersage für diesen Sonntag war nicht allzu einladend und so standen nur einige wenige interessierte Teilnehmer:innen in der Hühnerstraße zum Abmarsch bereit. Über die Wiesenstraße, in der auch in einem Wohnhaus mit Giebel die damalige Synagoge untergebracht war machte uns Frau Seppi auf die bekannten sog. „Stolpersteine“ in der Pflasterung vor dem Wohnhaus Nr. 14 aufmerksam. Gewidmet waren diese der überwiegend in Riga ermordeten Familie Julius und Sara Metzger. Eine Erinnerungstafel, von Schwester Paula seinerzeit konzipiert und vormals am Alten Rathaus platziert, wurde später an einem Wohnhaus im vorderen Bereich der Wiesenstraße angebracht. Bei dem Gang durch diese Straße wusste Barbara Seppi noch so manche Erkenntnisse und Familiengeschichten zu diesem Thema zu berichten. Hierbei erwähnte sie auch die Namen Perlstein, Eisendraht und Reifeisen; Letztere mit Vornamen Ilse bzw. Elise wurde z.B. als 13-jähriges Mädchen mit einem Kindertransport von ca. 20.000 anderen Kindern 1938/1939 vor Verfolgung und Tod u.a. nach Schweden transportiert. Weiter ging es über die Recklinghäuser Straße zum Platz der Deutschen Einheit, wo Seppi u.a. auf das Westfälische Jüdische Museum aufmerksam machte, dass als Folge der damaligen Forschungen mit u.a. dem ehemaligen DZ-Redakteur Wolf Stegemann „Dorsten unterm Hakenkreuz“ mit viel Engagement und persönlichem Einsatz u.a. vieler Dorstener und mit Hilfe des Kreises und des Landes 2001 am Südwall 13 entstand.
Dann ging es über das Gelände der ehemaligen Glashütte (Glas- und Spiegelmanufaktur / Gerresheimer Hütte, bis zur ehemaligen Direktorenvilla Keller und heute eine Einrichtung der Lebenshilfe für geistig behinderte Kinder am vorbeifließenden Rapphoffs Mühlenbach, an dieser Stelle immer noch kanalisiert und vom Lippeverband betreut. An dieser Stelle an einer Brücke über den Bach wurde ein Stopp eingelegt um über Bäche, Kanal und die Lippe hinsichtlich deren geschichtlichem Hintergrund gesprochen.
Weiter geht‘s zur nächsten Station, dem alten jüdischen Friedhof, zunächst vorbei an einem rel. neuen vom Lippeverband gebauten Durchlass unter dem Fuß- und Radweg des Galgenbaches zwischen der Hasselbecke und dem Segelflugplatz. Um den durch Bergsenkungen eingeschränkten Durchlass wieder herzustellen ist das alte 60 Zentimeter Durchmesser große Bestandsrohr durch ein neues, zwei Meter großes Rohr ersetzt worden. Neben dem verbesserten Wasserabfluss fällt dank des größeren Rohres auch mehr Licht ein, ein Vorteil für kleine Lebewesen wie Frösche, Molche und Fische im Bach, die sich hier ihren Weg suchen. In seinem weiteren Verlauf mündet der Galgenbach in den Rapphofs Mühlenbach und dieser in die Lippe. Somit erfüllt der Galgenbach eine wichtige Funktion für den Wasserabfluss aus dem Gewebegebiet Dorsten Ost bis zum Naturpark Hasselbecke.
Dann sind wir an unserem zweiten Teilziel angelangt, dem alten jüdischen Friedhof. Er liegt etwas versteckt im sogenannten „Judenbusch“ im Naturpark Hasselbecke des Dorstener Stadtteils Feldmark. Das ca. 1500 m² große Gelände wurde 1628 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und ging 1790 in städtischen Besitz über. Zwischen 1857 und 1941 diente das Areal als Begräbnisplatz der jüdischen Gemeinde. Juden durften nicht in der geweihten Erde der Christen beerdigt werden und da hier in der Nähe eine ehemalige Richtstätte betrieben wurde, war dieser Boden nicht in diesem Sinne geweiht. Für den Juden ist dieser Friedhof natürlich geweiht und wer ihn betritt, muss als Mann eine Kopfbedeckung tragen. Insgesamt 27 Grabstellen sind heute noch erkennbar. Davon lassen sich 19 Gräber individuell zuordnen. Mehrere Grabstellen gehören zur um 1850 in die USA ausgewanderten Familie Eisendrath, die sich bis in die Gegenwart hinein immer wieder für Renovierungen des Friedhofs engagiert hat, aber auch die Familie Perlstein hat hier u.a. eine Ruhestätte gefunden.
Bei dieser Gelegenheit erwähnte Barbara Seppi auch noch viele andere Länder weltweit, wohin es jüdische Mitbürger in ihrer Not vertrieben hat, so z.B. auch die Eltern des hier bekannten schweizer Musikers Stephan Sulke, Sohn von Berliner Juden und deren Fan in Jugendtagen sie war, der im Ghetto von Shanghai 1943 geboren wurde, nachdem die Eltern 1939 nach China geflüchtet waren.
Übrigens kam jetzt, als wir uns über das Friedhofsgelände zu den Grabsteinen hin bewegten, die Sonne hinter den Wolken hervor und der Himmel klarte für eine kurze Zeit auf – sollte das vielleicht ein Zeichen sein?
Bevor es nun wieder über den Deich des Rapphoffs Mühlenbachs und weiter an der Marler Straße vorbei an der Familienbildungsstätte zurück in die Altstadt ging, stand noch eine kurze Stippvisite des nahegelegenen Galgenhofes auf dem Programm. Es handelt sich hier um ein historisches Bauernhofgeländes in unmittelbarer Nähe des ehemaligen dortigen Galgens als seinerzeit übliches Tötungsinstrument für Delinquenten. Hier begrüßte uns die heutige Besitzerin Dorothee Maas-Timpert und hieß uns willkommen. Es ist ein sehr schönes weitläufiges Areal mit dem großen umgebauten Wohnhaus mit Remise und Nebengebäuden. Auf den verpachteten Weiden und Ställen grasen friedlich die schön anzusehenden Pferde. Frau Maas-Timpert, ehemals selbst begeisterte Reiterin, lebt hier in unmittelbarer Nähe zu „ihrer“ Hoyer-Tankstelle (früher LEV) an der Schleusenstra0e. Auf dem Gelände ist noch immer der alte Bunker zu sehen, wo der Historie nach die Delinquenten vor ihrer Hinrichtung eingesperrt wurden. Die Galgenanlage soll auf der großen Wiesenfläche direkt im Anschluss zur Marler Straße hin gestanden haben.
Diejenigen, die bis zuletzt bei diesem unterhaltsamen und wieder interessanten Winterspaziergang dabei waren, waren sehr zufrieden und dankten Frau Seppi ganz herzlich, dem sich der Verkehrsverein als Ganzes nur allzu gerne anschließt.